Eine vermeintlich zweitklassige Eigenschaft verhilft dem iPhone SE zu besonderem Glanze. Aber Apples günstigstes iPhone hat noch viel mehr zu bieten. Für wen es sich eignet.
Das iPhone SE ist mir in diesen Tagen aus einem Grunde besonders lieb: Es hat einen Touch-ID-Fingerabdrucksensor. Damit lässt es sich auch entsperren, wenn man mit Mundnasemaske einkaufen geht oder in der Bahn sitzt, etwa, um die Einkaufsliste einzusehen oder rasch eine Nachricht zu beantworten. Die Gesichtserkennung streikt bei anderen Geräten. Und das Schöne ist, dass das iPhone SE gleichzeitig in punkto Leistung auf Augenhöhe mit Apples besten iPhones ist. Es ist also nicht der Griff in die Schublade der Altgeräte nötig, um in den Genuss dieser Sicherheitsfunktion zu kommen.
In diesem Jahr 2020 ist ja einiges paradox. Dass aber der Fingerabdruck als biometrischer Schlüssel solch ein Comeback feiert, hätte sich auch Apple sicher nicht träumen lassen, als das Gerät entwickelt wurde. Eigentlich gilt die Gesichtserkennung als der Premiumfaktor des biometrischen Aufschließens. Zumindest bleibt die Technik bei Apple den teureren Geräten vorbehalten, sowohl beim iPhone als auch beim iPad. Günstigere Geräte setzen weiterhin auf Touch ID. Dabei finden gar nicht unbedingt alle Face ID besser, wie Umfragen immer wieder zeigen. Beide Systeme haben ihre Vorzüge. Beide wurden von Apple und anderen Herstellern permanent verbessert.
Die Diskussion, ob Touch ID als Ergänzung zu Face ID – etwa als Sensor unter dem Display – auch bei den Pro-Geräten zurückkehren sollte, läuft schon lange. Durch das Jahr 2020 dürfte sie weiteren Auftrieb bekommen.
Mehr als nur Corona
Das nach fünf Jahren neu herausgebrachte SE aber auf die Corona-Zeit zu reduzieren, wäre sträflich. Zwei weitere Faktoren sind für viele Menschen entscheidender, zum Exoten im iPhone-Angebot zu greifen: Die geringe Größe und vor allem der Preis.
Mit 499 Euro gibt es keinen günstigeren Einstieg beim Neugerät. Natürlich könnte man auch ein günstiges Vorjahresgerät oder ein Gebrauchtes in dieser Preisklasse erwerben. Aber der Neukäufer wird mit einer langen Softwareunterstützung und Gewährleistung belohnt. Zudem finden sich in dem iPhone aktuell einige der neuesten Komponenten, wie der Prozessor, die es sonst nur in den teureren Preisklassen gibt.
Dagegen ist der Faktor Größe fast schon ein wenig in den Hintergrund gerückt. Als Apple im Jahre 2016 sein erstes iPhone SE auflegte, war es eine Verneigung vor langjährigen Kunden, die sich seinerzeit damit schwer taten, auf die neu eingeführten größeren Geräte zu wechseln. Das erste SE kam im Gewand des schmalen iPhone 5s und hatte aber neueste Technik an Bord. Das war eine Charmeoffensive, die sich – offenbar auch für Apple überraschend – auch finanziell auszahlte.
Außen: Aha
Das neue SE im Jahre 2020 hat nun jene Größe, die vor vier Jahren einige zugunsten des Vorgängers verschmähten. Es hat die Bauform des iPhone 8, das nur wenig kleiner ist als das iPhone 11 Pro. Entscheidender ist aus heutiger Sicht der andersartige Bildschirm, der eben auch zum günstigeren Preis beträgt. Während Apple im gehobenen Segment auf die extrem kontraststarken OLED-Bildschirme setzt, hat das iPhone SE ein LCD-Display. Das sieht der OLED-Kenner sofort an dem durch die Hintergrundbeleuchtung schimmernden Schwarz. Es ist aber auch erkennbar an der Größe des Bildschirms, der sichtbare Kanten – vor allem oben und unten – hat. Es geht weiter über das Bedienkonzept, das bei den höheren Segmenten stark gestengesteuert daherkommt, beim iPhone SE dagegen in herkömmlicher Weise und mit einem dominanten Home-Button, in dem auch der Fingerabdrucksensor sitzt.
So wie eingangs Touch ID und Face ID, so sind auch die Unterschiede zwischen OLED und LCD sowie die Bedienkonzepte eher Komfort- und Geschmacksfragen. Mag das eine technisch besser als das andere sein, so gibt es gefühlt kein allgemeingültiges Besser. Vielleicht hat das Apple auch so lange zögern lassen, das in die Jahre gekommene erste iPhone SE zu aktualisieren oder überhaupt fortzuführen. Es ist für viele einfach zu attraktiv.
Mir fiel es im Test tatsächlich am meisten schwer, mir die Gestensteuerung des iPhone 11 Pro abzugewöhnen. Das Kontrollzentrum wird dort zum Beispiel aus einer anderen Richtung aufgerufen als auf dem Pro.
Innen: Oho
Das Gefälle zwischen Erst- und Zweitauflage ist wegen der vier Jahre dazwischen grotesk groß. Der eingebaute A13-Chip ist mehr als doppelt so schnell, bei der Grafik ist er gar viermal so leistungsfähig. Auch Mobilfunk, WLAN und Batterielaufzeit haben zugelegt. Es sind nun Porträtfotos mit der Unschärfe im Hintergrund möglich und dank eSIM können sogar zwei Telefonnummern – etwa für Privates und Geschäftliches – verwendet werden. Apple-Pay und einiges mehr sind auch an Bord.
Juckepunkt Kamera
Warum überhaupt noch ein teureres iPhone kaufen? Die Antwort: Für die Kamera und mehr Speicher. Die 12-Megapixel-Weitwinkelkamera des SE ist hervorragend, aber wer gerne fotografiert und die Pro-Modelle mit ihren zusätzlichen Ultraweitwinkel- und Telekameras kennen gelernt hat, wird deren Reiz schwer ignorieren können. Und mit maximal 256 Gigabyte Speicher kann es auch rasch eng werden auf dem Gerät, etwa, wenn mit 4K-Auflösung und 60 Bildern pro Sekunde gefilmt wird. Die größeren Modelle bieten hier weit mehr Speicher. Wer das iPhone SE als Hauptgerät einsetzen möchte, sollte unbedingt vorher für sich klären, wie wichtig einem diese Eigenschaften des Geräts sind.
Eine besondere Farbe
Ein letztes Mal zurück zu den Geschmacksfragen: Käufer haben die Wahl zwischen einem schwarzen, weißen und roten Gehäuse. Die “Product Red”-Variante mit ihrem bordeauxroten Farbton hatte es uns im Test sehr angetan. Einziger Nachteil: Man mag sie nur sehr ungerne in eine Hülle verpacken.
Fazit
Das iPhone SE ist die günstigste Eintrittskarte in die Apple-Welt und bietet für den Preis erstaunlich viel Gegenleistung. Besonders für Wenig- und Gelegenheitsnutzer hat es das eindeutig bessere Preis-Leistungsverhältnis als die höherwertigen Modelle. Aber Interessierte sollten unbedingt ehrlich zu sich selbst sein: Brauchen sie wirklich nur diesen Speicher oder wird es schnell eng? Und dass die kommende Softwareversion iOS 14 sogar noch für das vier Jahre alte Vorgängermodell bereitgestellt wird, zeigt, dass es auch als langjähriges Invest taugt. Abstriche gibt es bei Kamera und Bildschirm. Hier ist es wohlgemerkt aber nicht die Wahl zwischen Gut und Schlecht, sondern zwischen Gut und Besser.
Man sollte in dem Preisbereich unbedingt das iPhone XR ansehen. Kaum teurer. Akku richtig gut und halt auch das ,moderne‘ Design.
[…] 2016 als zusätzliche Linie erstmals aufgelegt, ruhte dann vier Jahre, bis in diesem Frühling ein neues iPhone SE erschien. Viele glaubten vorher, dass der SE-Gedanke tot ist. Von wegen – so lebendig wie 2020 war der […]